Es sind 72! Ich glaube, der Tourismusdirektor zählt sie regelmässig!

Ehrlich gesagt kenne ich das 2500 Seelendorf Lauterbrunnen bisher nur im Kontext Extremsportarten. Hier hechten regelmässig waghalsige Base Jumpers in ihren Wingsuits die steilen Felswände hinunter. Im optimalen Fall gelingt es ihnen, im letzten Moment den Fallschirm zu öffnen und durch die atemberaubend schöne Landschaft zu gleiten. Mehrere Dutzend Springer, haben leider nicht den optimalen Fall erwischt und sind tödlich verunglückt. 

Als wir unseren Stellplatz zugewiesen bekommen, springen sogleich unsere Nachbarn aus ihrem Van und begrüssen uns freundlich und auch das ältere Ehepaar mit Hamburger Kennzeichen winkt von schräg gegenüber rüber.

Wir sind ca. 30 Minuten hier und bereits so begeistert, dass wir fast ins Hyperventilieren geraten. Direkt hinter dem Campingplatz fallen riesige Wassermassen 300 Meter der Felswand entlang ins Tal hinunter. Das ist der Staubbachfall. Der höchste der insgesamt 72 Wasserfällen von Lauterbrunnen. Es ist sehr still hier, wir hören lediglich ein fernes, dumpfes Glockenläuten der Kirche. Durch die wenigen Touristen wirkt Lauterbrunnen ausgestorben und fast schon mystisch. Wir finden ein Pub mit Aussenbereich und essen eine hausgemachte Suppe zum Znacht. 

Nachdem der gestrige Tag trocken war, hat es die ganze Nacht geregnet, teils in Strömen. Als ich am Morgen zum Duschen loslaufe, liegt dichter Nebel über Lauterbrunnen. Es lichten sich aber einige der dicken Schwaden und lassen einen Blick auf die senkrechten Felswände links und rechts vom schmalen Tal zu. Das ganze hier ist so kitschig, ich fasse es kaum. Es würde mich nicht erstaunen, wenn demnächst noch eine Bollywood Film Crew um die Ecke kommt.

Den nächsten Begeisterungsschub bekomme ich im Sanitär Gebäude. Es gibt im ersten Stock Einzelbadezimmer mit WC, Lavabo und Dusche. Ein richtiges Badezimmer, schön geheizt und das für mich alleine. Alles blitzblank sauber - was für ein Luxus!

Nach dem Frühstück erwartet uns ein riesen Highlight, auf welches ich mich bereits seit vielen Wochen freue. Wir besuchen die Trümmelbachfälle. Sie gehören auch zu den 72 Wasserfällen und sind die einzigen, unterirdisch zugänglichen Gletscherwasserfälle der Welt. Um zu den 10 Wasserfällen zu gelangen, fahren wir zuerst mit einem Lift hoch und laufen dann durch Galerien, Tunnels und über steile Treppen hoch und runter. Auf spektakulären Plattformen knipsen wir einige Fotos. Ab und zu kämpfe ich mit meiner Höhenangst. Da es aber praktisch keine Besucher hat, kann ich überall ganz nahe der Felswand entlanglaufen und mich wo nötig am Geländer festhalten. So geht das prima. 

Der Trümmelbach entwässert allein die riesigen Gletscherwände von Eiger (3970m), Mönch (4099m) und Jungfrau (4158m) mit bis zu 20.000 Litern Wasser pro Sekunde aus seinem Einzugsgebiet von 24 qkm, das bis zur Hälfte mit Schnee und Eis bedeckt ist. Der ganze Berg donnert! Diese Wasserfälle muss man gesehen haben. Ich muss es einfach schreiben: Kommt unbedingt nach Lauterbrunnen und seht Euch dieses Spektakel an!

Wir haben am Nachmittag noch Zeit und fahren nach Grindelwald. Interlaken haben wir vor einigen Jahren bereits besucht, darum haben wir uns für dieses Ziel entschieden. Die Sonne scheint, wir laufen kreuz und quer durchs Dorf und geniessen die Sonne. Bevor das Wetter wieder umschlägt, schaffen wir es gerade noch unseren Van zu parken und wieder campierbereit zu machen. Und dann öffnet Petrus wieder die Schleusen...

A