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Wenn alle Dämme brechen!

Das komplette Gepäck ist verstaut. Weiter geht’s und zwar von Hoek van Holland in Zuid-Holland nach Westkappelle in Zeeland. Die heutige Etappe führt uns der Küste entlang und bringt uns an gigantischen Bauwerken vorbei, die auch als eines der sieben modernen Weltwunder bezeichnet werden. Zudem erfahren wir, wieso die Grossprojekte in diesem Umfang überhaupt realisiert wurden. Genau: Wegen dem Wasser, welches niemand nochmals so erleben will wie im 1953!

Auf der Karte sieht unsere heutige Route spektakulär aus. Teile davon führen über riesige Dämme. Das Wetter ziert sich leider etwas, die Hauptfarbe heute ist grau. Outfittechnisch ist Zwiebelschalen-Prinzip angesagt. Die oberste Schicht der Zwiebel sollte wind- und wasserdicht sein, sonst wird’s ungemütlich.

 

Mit nur knapp 2 h reiner Fahrzeit bleibt viel Luft, um ab und zu einen Halt einzubauen. Das machen wir z.B. für eine Tasse Kaffee auf der Terrasse eines riesigen Restaurants, welches auf Pfählen gebaut ist. Auf der Getränkekarte mit «Flat White» angepriesen, ist die braune Brühe geschmacklich super bäääähhh, die Location mit direkter Sicht auf die waghalsigen Kitesufer aber top – tja, man kann halt nicht alles haben! Kaffee, Location, Kaffee, Location...bin immer noch am Studieren, was mir wichtiger ist.

 

Während wir die ganze letzte Woche, glaube ich, keine einzige Windmühle gesehen haben, ist heute der Tag der Windmühlen. Fast jedes Dorf hat eine eigene. Einige davon sind auch in Betrieb. Eine ist so schön, dass wir kurzerhand in diesem Städtchen anhalten. Wir haben keine Ahnung, wo wir genau sind und wie der Ort heisst. Nein! Nicht im Handy schauen! Das finden wir analog schon auch raus!  Auf vielen Schildern lesen wir in irgendeiner Kombination «Zierikzee», also wird das wohl der Name des Ortes sein. 

 

Die Gebäude sind herausgeputzt, die Geschäfte und Restaurants mit Liebe gestaltet. Die Holländer haben in punkto Interior Design eh einen drauf. Top! In einem Shop kaufe ich mir ein Souvenir und nach einer Stunde Füsse vertreten reisen wir weiter.

 

Wir fahren über einen Teil des weltweit grössten Sturmflutwehrs. Die total 13 Bauwerke sind bekannt unter dem Namen «Deltawerke». Das imposante Projekt wird auch als eines der sieben modernen Weltwunder bezeichnet. Der eindrücklichste Teil ist das Oosterschelde-Sperrwerk mit 9 Kilometern Länge. Auf einem Teil des Dammes fahren wir mit dem Auto drüber. Innerhalb von 80 Minuten kann dieses Teilstück bei Hochwassergefahr komplett abgesperrt werden.

 

Die Holländer setzen sich sehr genau mit dem Wasser und den damit verbundenen Gefahren auseinander. Sie sind in diesem Thema auch eine der führenden Nationen. Wieso das so ist? Zum einen haben sie sehr viel Küste und sehr viel Wasserfläche in ihrem Land, zum anderen erlebte das Land in den 50er Jahren eine unglaublich schlimme Katastrophe.

 

Ein schwerer Sturm wurde für die Nach des 31. Januars 1953 erwartet. So hatte es das Königlich-Niederländische Institut für Meteorologie vorausgesagt. Hochwasserwarnung – das war ein vertrautes Szenario für die Bewohner im Westen der Niederlande und im angrenzenden Belgien.

 

Als der Sturm zu einem Orkan anwuchs und die Sturmflut auf eine Springtide traf, brach das Wasser auf fast 200 km durch Deiche. Da damals um Mitternacht die Radiosender und Telefonzentralen ausgeschaltet wurden, bekamen die Stellen, die Hilfe hätten organisieren können, gar nichts mit. Als kurz danach noch eine zweite Flutwelle kam, wurde das Elend noch schlimmer und die Flut wurde für über 1800 Menschen zur Todesfalle. Den Bewohnern der betroffenen Region blieb meist nur, sich in letzter Sekunde auf das eigene Dach zu retten und dort zu hoffen und auf Hilfe zu warten. 

 

Diese Informationen haben wir beim Besuch des WATERSNOODmuseum in Ouwerkerk auf der Insel Schouwen-Duivelander erhalten. Diese Region befindet sich mitten im ehemaligen Katastrophengebiet und das Museum ist in die damaligen Dämme, die nicht gehalten haben, reingebaut. Die Ausstellung beschäftigt sich zum einen mit der Vergangenheit und zeigt zum anderen auch, auf welche Entwicklungen sich Technik und Forschung konzentrieren, um die Region und auch andere Teile der Welt sicherer zu machen. Wir können an diversen Modellen selber Schutzmassnahmen planen, bauen und dann Hochwasser simulieren. Sagen wir mal so; unsere Massnahmen «verheben» etwa zu 50 %, wir müssten für den Ernstfall nochmals nachschärfen!

 

Eines ist gemäss den Spezialisten klar: Das Wasser kommt wieder, die Frage ist nur wann und wie heftig. Diese Aussage bestätigen leider die jüngsten Überschwemmungen in Deutschland und weiteren Ländern.

 

Das letzte Stück der heutigen Route vergeht sehr schnell. Es regnet wie aus Kübeln als wir im 17-Zimmer Hotel namens Charley’s einchecken. Unser Zimmer ist genau so breit, dass ein Doppelbett Platz hat und der Zugang mit seitwärts reinnavigieren möglich ist. Das Badezimmer ist grösser als der Rest des Zimmers. Da sind wir froh, dass wir je nur einen Rucksack dabeihaben und das restliche Gepäck im Auto bleibt. Das Hotel hat uns beim Check-in eine kleine Tasche mit Infos und essbaren Goodies der umliegenden Restaurants gegeben. Mega coole Idee, so die Hotelgäste auf sich aufmerksam zu machen. Nach einem Spaziergang auf dem Damm bei Windstärke «Kinder fallen reihenweise um und kleine Hunde fliegen wie Ballone an ihren Leinen» knurrt der Magen und wir kehren in einem der Restaurants ein! ...und schon haben sie uns am Wickel!

 

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